Wirksamkeit von körperlich aktiven Arbeitsplatzinterventionen

Die Digitalisierung und Technologisierung der Arbeitswelt schreitet immer weiter voran. Häufig wird von den Mitarbeitern nicht einmal das von der WHO geforderte tägliche Mindestmaß von 30 Minuten mäßig intensiver Bewegung an fünf Tagen in der Woche erreicht (Höss-Jelten, Maier & Dolp 2014, S. 5).

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2011) geht davon aus, dass alleine in Deutschland 17 Millionen Arbeitnehmer sitzende Tätigkeiten im Büro ausüben. Werden zusätzlich Arbeitnehmer aus der industriellen Fertigung sowie Lkw-, Bus- und Lokführer berücksichtigt, ist von ca. 22 Millionen Arbeitnehmern auszugehen, die sitzend arbeiten. Durchschnittlich verbringt ein Büroarbeiter im Laufe seines Berufslebens ca. 80.000 Stunden im Sitzen (BAUA 2011, S. 5).

Die gesundheitlichen Konsequenzen sind dabei nicht außer Acht zu lassen; so führt Sitzen in vorgeneigter Position

„schon nach wenigen Minuten zu einer verminderten Atemfunktion, Problemen bei der Blutzirkulation, einer Belastung der inneren Organe (...), Druckbelastungen auf beanspruchte, weiche Gewebsstrukturen (v.a. der hinteren Oberschenkelmuskulatur), dadurch bedingte Blutstauung in den Unterschenkeln, einseitige Muskelbeanspruchung und somit zu Verspannungen von Schulter- und Nackenmuskulatur mit der möglichen Konsequenz von Kopfschmerzen“ (Höss-Jelten et al. 2014, S. 6).

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Dunstan et al. (2012) sprechen in diesem Fall von „sedentary time“. Definiert ist diese Zeit mit einem energetischen Grundumsatz von 1,0 bis 1,5 MET, oder anders ausgedrückt als eine „muskuläre Beanspruchung, die chronisch unterhalb einer Reizschwelle liegt, deren Überschreitung notwendig ist zum Erhalt oder zur Vergrößerung der funktionellen Kapazität“ (Allmer 1996, S.127).

In ihrem Review aus dem Jahr 2012 weisen Dunstan et al. darauf hin, dass Erwachsene bis zu 51 - 68 Prozent ihrer Zeit am Tag („waking hours) sitzend verbringen. Diese „sedentary time“ bezieht sich nicht nur auf die Arbeitszeit, sondern auch auf die Freizeitgestaltung. Zudem führt die zunehmende Technologisierung am Arbeitsplatz zu einem anhaltenden Sitzen im Leben eines Erwachsenen (Dunstan, Howard, Healy & Owen 2012, S. 369).

Neben den bereits beschriebenen akuten physischen Reaktionen birgt „sedentary time“ auch Langzeitrisiken wie zum Beispiel ein höheres Vorkommen kardiovaskulärer Erkrankungen, Thrombose aufgrund des anhaltenden Sitzens sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit an Diabetes Typ 2 zu erkranken (Dunstan et al. 2012, S. 371).

Durch körperliche Aktivität kann dem Risikofaktor „sedentary time“ entgegen gewirkt werden. Darunter verstehen Dunstan et al. einen gesteigerten Energieumsatz von ca. 3 MET. Somit zählen auch Tätigkeiten wie Stehen, Gehen oder Tragen von schwereren Gegenständen im Beruf als körperliche Aktivität (Dunstan et al. 2012, S. 369). Auf Grundlage dessen geben Dunstan et al. (2012) folgende Empfehlungen heraus, um das Sitzen während der Arbeitszeit immer wieder durch Bewegung zu unterbrechen (Tab. 1).

Tab. 1. Körperliche Aktivität am Arbeitsplatz (eigene Darstellung, vgl. Dunstan et al 2012, S. 374)

Alle 30 Minuten aufstehen
Head-Set für Telefonate benutzen, um frei beweglich zu sein
In die entsprechenden Abteilungen laufen, anstatt eine E-Mail zu schreiben
Höhenverstellbaren Tisch benutzen

Schon Graf kam bereits 1927, wie in Allmer (1996, S. 123) beschrieben, zu der Schlussfolgerung, dass sich der Gesundheitszustand der Arbeitnehmer nach Pausen, in denen körperliche Übungen durchgeführt wurden, verbessert.

Die Implementierung einer Bewegungspause am Arbeitsplatz ist ganz im Sinne der in der Ottawa-Charta formulierten Ziele, da sie den Mitarbeitern eine Bewegungsfreiheit bietet. Die Zielsetzungen einer Bewegungspause am Arbeitsplatz wurden ebenfalls empirisch belegt. So zum Beispiel der Rückgang von Erkrankungen und Beschwerden des Bewegungsapparates, eine Verbesserung der Arbeitsqualität und Verhinderung von Leistungseinbußen, eine Steigerung des Wohlbefindens und Verbesserung des Betriebsklimas, eine Verbesserung der Beweglichkeit sowie eine Anregung zur sportbezogenen Freizeitgestaltung (Allmer 1996, S. 130).

Gesundheitlicher Nutzen präventiver Maßnahmen am Arbeitsplatz

In diesem Abschnitt wird der gesundheitliche Nutzen von Maßnahmen am Arbeitsplatz zur Steigerung und Verbesserung der körperlichen Aktivität sowie der körperlichen Fitness dargestellt. Der Fokus liegt ausschließlich auf Interventionen mit einer Dauer von mindestens 45 Minuten und nicht länger als 90 Minuten pro Einheit, da erst ab dieser Länge die Maßnahmen den Vorgaben des Leitfadens Prävention der gesetzlichen Krankenkassen entsprechen (Zentrale Prüfstelle Prävention, 2014, S. 45). Die Vorgabe von Gruppeninterventionen und eine maximale Laufzeit von 12 Wochen wurden nicht berücksichtigt.

Dalager, Justesen, Murray, Boyle & Sjogaard (2016) befassen sich mit der Verbesserung der kardiovaskulären Gesundheit durch ein „intelligent physical exercise training“ (IPET). Es handelt sich um eine randomisiert-kontrollierte Studie mit einer Trainingsgruppe (N=193) und einer Kontrollgruppe (N=194). Mitarbeiter von sechs dänischen Unternehmen mit einer Büroarbeitsdauer von mindestens 25 Stunden in der Woche wurden in die Studie eingeschlossen. Die Ausschlusskriterien waren Schwangerschaft, Muskelskeletterkrankungen und Herzleiden. Die Trainingsgruppe erhielt ein Jahr lang ein angeleitetes Trainingsprogramm einmal wöchentlich. Im zweiten Jahr sollte das Training weiterhin eigenverantwortlich jede Woche durchgeführt werden, davon lediglich einmal im Monat unter Anleitung (Dalager et al. 2016, S. 1436). Das Trainingsprogramm bestand aus zehn Minuten Anreise und Rückkehr an den Arbeitsplatz, 20 Minuten „cardio-respiratory fitness training“ und 30 Minuten individuelles Training, basierend auf den Ergebnissen eines Eingangstests zu Beginn der Studie. Vorrangig handelte es um die Kräftigung des Schulter- und Nackenbereichs, der großen Muskelgruppen sowie ein Ausdauertraining. Zusätzlich sollte die Trainingsgruppe eigenständig eine moderate 30-minütige Trainingseinheit in der Freizeit an sechs Tagen in der Woche durchführen. Die Kontrollgruppe führte kein Trainingsprogramm durch.

Nach Abschluss der Intervention zeigte die Trainingsgruppe eine signifikant gesteigerte absolute und relative VO2max sowie einen signifikant niedrigeren BMI und niedrigeren Blutdruck. Keinen Unterschied zwischen Trainingsgruppe und Kontrollgruppe ergab sich bei der Abnahme oder Zunahme der sportlich aktiven Tage pro Woche (Dalager et al. 2016, S. 1439). Die Studie gibt bereits einen ersten Hinweis darauf, dass präventive Sportprogramme am Arbeitsplatz einen positiven Effekt auf die Gesundheit der Mitarbeiter haben, auch wenn nicht überprüfbar ist, ob alle Mitarbeiter die sechs Trainingseinheiten pro Woche auf freiwilliger Basis eingehalten haben.

In dem Review von Moreira-Silva, Teixeira, Santos, Abreu, Moreira & Mota aus dem Jahr 2016 wird neben dem gesundheitlichen Effekt präventiver Trainingseinheiten am Arbeitsplatz zusätzlich der wirtschaftliche Nutzen dieser Maßnahmen untersucht. Insgesamt wurden zwölf randomisiert-kontrollierte Studien eingeschlossen. Von diesen zwölf Studien hatten fünf Studien eine Interventionslänge von mindestens 45 bis 90 Minuten pro Einheit, während eine Studie länger und die anderen kürzer waren (Moreira-Silva et al. 2016, S. 215). Tveito & Eriksen (2008) konnten bei beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede bei den Fehltagen und den Beschwerden im oberen und unteren Rücken feststellen. Bezüglich der Nackenschmerzen, des subjektiven Gesundheits- und Fitnesszustands sowie der Reduktion des Muskelschmerzes schnitt die Trainingsgruppe besser ab. Ebenfalls gaben die Teilnehmer der Trainingsgruppe ein verbessertes Stressmanagement an, obwohl kein Unterschied messbar war.

Lundblad et al. (1999) belegen einen signifikant positiven Einfluss der Intervention auf Schulter- und Nackenschmerzen sowie einen nicht-signifikanten Rückgang der Fehltage im Vergleich zu der Kontrollgruppe. Die Studie von Ahlgren et al. (2001) lässt auf einen generellen Rückgang körperlicher Beschwerden durch regelmäßiges Training schließen, allerdings ist das Ergebnis nicht signifikant (Moreira-Silva et al. 2016, S. 216). Die Studie von Kellet et al. (1991) zeigt, dass wöchentliches Training Rückenschmerzen und Krankheitstage der Arbeitnehmer („sick leave“) um bis zu 50 Prozent reduzieren kann (Moreira-Silva et al. 2016, S. 215). Die Intervention hatte keinen signifikanten Einfluss auf „job stress“ und die psychische Gesundheit (Moreira-Silva et al. 2016, S. 215). Auch Maul et al. (2005) belegen eine Steigerung der Kraftausdauer, der isokinetischen Kraft und des Schmerzempfindens.

Zusammenfassend haben Arbeitsplatzinterventionen mit einer Interventionslänge von mindestens 45 Minuten pro Einheit einen generell positiven Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeiter. Daher scheint es als logisch, dass solche Interventionen von den Krankenkassen gefördert werden. In Kombination mit einer optimierten körperlichen Aktivität während der Arbeitszeit könnten die negativen Einflüsse des langen Sitzens zumindest reduziert werden. Überlegenswert ist welche Unterschiede in Wirksamkeit bei den verschiedenen Intervention bestehen und ob bereits kürzere Interventionen einen positiven Einfluss haben.

Literatur:

Ahlgren, C., Waling, K., Kadi, F., Djupsjöbacka, M., Thornell, L.-E., & Sundelin,
G. (2001). Effects on physical performance and pain from three dynamic training programs for women with work-related trapezius myalgia. Journal of Rehabilitation Medicine, 33, 162-169.
    
Allmer, H. (1996). Erholung und Gesundheit. Göttingen: Hogrefe Verlag.    

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA). (2011). Sitzlust statt
Sitzfrust. Sitzen bei der Arbeit und anderswo. Zugriff am 17. Jun. 2016 unter www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/A31.pdf?__blob=publicationFile

Dalager, T., Justesen, J.B., Murray, M. Boyle, E. & Sjogaard G. (2016). Implementing
intelligent physical exercise training at the workplace: health effects among office workers - a randomized controlled trial. European Journal of Applied Physiology, 116, 1433-1442.

Dunstan, D., Howard, B., Healy, G. & Owen, N. (2012). Too much sitting – A health
hazard. Diabetes Research and Clinical Practice, 97, 368-376.

Höss-Jelten, C., Maier, S. & Dolp, T. (2014). Aktive Pause – ein Angebot von
MitarbeiterInnen für MitarbeiterInnen als Beispiel für eine nachhaltige Maßnahme im Rahmen der Gesundheitsförderung an Hochschulen. Zugriff am 05. Juli 2016 unter www.uni-augsburg.de/projekte/gesundheitsmanagement/downloads/aktive-pause.pdf

Kellett, K. M., Kellett, D. A., & Nordholm, L. A. (1991). Effects of an exercise program
on sick leave due to back pain. Physical Therapy, 71, 283-293.

Lundblad, I., Elert, J., & Gerdle, B. (1999). Randomized controlled trial of
physiotherapy and Feldenkrais interventions in female workers with neck-shoulder complaints. Journal of Occupational Rehabilitation, 9, 179-194.

Maul, I., Läubli, T., Oliveri, M., & Krueger, H. (2005). Long-term effects of supervised
physical training in secondary prevention of low back pain.
European Spine Journal, 14, 599-611.

Moreira-Silva, I., Teixeira, P., Santos, R., Abreu, S., Moreira, C. & Mota, J. (2016).     The Effects of Workplace Physical Activity Programs on Musculoskeletal Pain.
A Systematic Review and Meta-Analysis. Workplace Safe & Healthy, 64, 210-222.

Tveito, T. H., & Eriksen, H. R. (2009). Integrated health programme: A workplace
randomized controlled trial. Journal of Advanced Nursing, 65, 110-119.

Korrespondenzadresse:

Matthias Dreher und Max Friese

Matthias Dreher
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Abteilung Sportmedizin, Rehabilitation und Prävention
Johann-Joachim Becher Weg 31
55099 Mainz
Tel: +49 (0) 6131 3924563
E-Mail: dreher@uni-mainz.de
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